Die moderne Allee

In den Köpfen heutiger Ver­kehrs­pla­ner hat Ästhe­tik nur noch wenig Platz: zu eng ge­faßt und zu domi­nie­rend sind die tech­ni­schen Richt­linien für den Straßen­bau. Moderne Alleen werden sel­ten aus einer land­schafts­ge­stal­te­ri­schen Vision heraus ange­legt, son­dern eher, weil es als Aus­gleichs­maß­nah­me für die Fällung von Altbe­stän­den gesetz­lich vor­ge­schrie­ben ist. Wich­tig­stes Ge­stal­tungs­kri­terium scheint in vielen Fällen die Ver­kehrs­sicher­heit zu sein.

Nach der aktuell für Bundes­straßen und in den meisten Ländern auch für Land­straßen gültigen Empfeh­lung (ESAB) soll der Ab­stand der Baum­reihen von der Fahr­bahn minde­stens 4,5 Meter be­tra­gen. Ein Kronen­schluß über der Straße kommt bei solchen Alleen nicht mehr zu­stande; das Fahren unterm Blätter­dach wird an großen Ver­kehrs­wegen in ab­seh­barer Zeit Ver­gangen­heit sein.


Junge Ulmenallee bei Schildau (Sachsen) mit Pflanz­schema. Die nicht kolo­rier­ten Um­risse zeigen den später zu er­war­ten­den Kronen­durch­messer.


Neugepflanzte Allee­bäume erfahren heute meist keine Auf­astung mehr und gleichen in fortge­schrit­te­nem Alter eher Solitär­bäumen. Damit löst sich die Allee ästhe­tisch von der Straße und wird zu einer Art straßen­begleiten­dem Park. Das muß nicht unbedingt eine Ab­wer­tung be­deu­ten, es be­deutet aber eine Ver­änderung des typischen Allee-Habitus, die man sich bewußt machen sollte. Augen­fällig wird sie erst in eini­gen Jahr­zehnten werden, wenn die heute noch existierenden Alt­bestände ver­schwun­den und die moder­nen Alleen in ihre Reife­phase ein­ge­treten sind.

Der Wandel im Erscheinungs­bild der Alleen wird dadurch befördert, daß über­kommene Nutz­effekte heute kaum noch be­nötigt werden – im Zeit­alter klimati­sierter Autos nicht ein­mal mehr die schatten­spen­den­de Wir­kung; und nur um der Schön­heit willen ist außer an Fürsten­höfen und ihren heuti­gen Pendants selten Land­schafts­gestal­tung be­trie­ben worden. Eine sinnvolle Funktion moder­ner Alleen könnte je­doch der Schall­schutz sein, wenn die Bäume in der Reihe dicht genug ge­pflanzt sind.

Wandel in der Landschaft ist ein normaler Vorgang, und mit ihrer veränderten Ästhetik steht die Allee nicht allein: Die für tradi­tio­nelle Landschafts­strukturen maß­geb­liche Ein­heit von an­sprechen­der Form und nutz­barer Funktion spielt unter der Vor­herr­schaft der Techno­lo­gie nur noch eine unter­geord­ne­te Rolle, und damit ver­liert eines der Grund­prin­zipien von Kultur­land­schaft an Be­deu­tung. Die Frage ist: Nach welchen Maß­stäben wollen wir dann unsere Um­welt gestalten?




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